In dem folgenden Text möchten einige von uns ihre Position zu Gefängnissen und auch zu dem vorherrschenden Justizsystem erläutern. Da wir in letzter Zeit zu diesem Thema politisch gearbeitet haben, Briefe geschrieben haben und auch für all unsere Mitstreiter*innen eine Anleitung zum Briefe schreiben heraus gebracht haben, betrachten wir es als notwendig diese Form der Arbeit auch theoretisch zu untermauern. Selbst in der politisch Linken stößt mensch immer mal wieder auf Unverständnis und nervöses Zucken, wenn mensch die Abschaffung von allen Knästen fordert. Daran möchten wir etwas ändern, denn wir betrachten es als unabdingbar sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, wenn wir eine befreite Gesellschaft fordern. In einigen Kontexten zeigen sich politisch engagierte Menschen zumindest solidarisch mit politischen Gefangenen. Das ist logisch, denn es könnte sie selbst ebenso treffen wie die Genoss*innen hinter Gitter, von welchen oft die Rede ist. Warum unsere Solidarität nicht bei „politischen Gefangenen“ aufhört und warum wir eine vollständige Abschaffung aller Knäste fordern werden die folgenden Textabschnitte ein wenig erläutern.
Dabei haben sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ein komplexes Thema wie dieses kann nicht in wenigen Sätzen vollständig erklärt und analysiert werden. Sie dienen als Gedankenanstoß, sich weiter mit dem Thema auseinander zusetzen. Außerdem möchten wir wie immer betonen, dass es innerhalb des Kollektivs unterschiedliche persönliche Meinungen über Details zu dieser Thematik gibt. Und das ist auch gut so.
01 Knäste funktionieren nicht
Als ersten Punkt gilt es Knäste als das zu benennen was sie sind. Und damit meinen wir nicht nur, dass sie schrecklich, vereinsamend und öde sind. Sondern vor allem, dass sie schlichtweg nicht funktionsfähig sind. Richtig, Knäste verfehlen seit Jahrhunderten ihren Zweck: ein besseres gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen. Wo im bürgerlichen Kontext oft von der „Resozialisierungs-Arbeit“ gesprochen wird, die Knäste angeblich leisten, befindet sich in Wirklichkeit nicht mehr als heiße Luft. Das Gefängnis hat von offizieller Stelle die Aufgabe Straftäter*innen zu „besseren“ Menschen zu machen, sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Das Gegenteil ist der Fall. Menschen so zu (re)sozialisieren und in die Gesellschaft einzubinden, dass sie anderen keinen Schaden zufügen. Das ist ein netter Gedanke, den auch wir als Grundlage für eine anarchistische Gesellschaft befürworten. Leider ist es ein Trugschluss zu glauben, dass der Strafvollzug ebendies tut. Es ist tatsächlich nachweisbar, dass eine Haftstrafe die Rückfallgefahr sogar erhöht. Gefängnisse reproduzieren also ebendiese Straftäter*innen, welche sie zu verhindern versuchen. Daraus lässt sich herleiten, dass die Gefängnisse dieser Welt vielleicht gar nicht primär zur Sicherheit der Bevölkerung dienen. Ihr Zweck ist ein anderer, nämlich die Aufrechterhaltung der kapitalistischen staatlichen Ordnung, mit einem Hauptaugenmerk auf Eigentum.
02 Knäste sind klassistisch & rassistisch
Es ist kein Geheimnis, dass in Knästen bestimmte Personengruppen überrepräsentiert sind. Und das hat einen Grund. Zum einen stellt das Prinzip der Ersatzfreiheitsstrafe ein großes Problem dar. Dieses juristische Prinzip besagt, dass mensch eine Haftstrafe verhängt bekommt, wenn mensch die durch eine Straftat ausgestellte Geldstrafe nicht bezahlen kann. So kann es auch passieren, dass mensch nur durch Delikte wie ohne Ticket Bahn fahren im Knast landet. In der JVA Berlin-Plötzense sitzen übrigens 1/3 aller Inhaftierten wegen Schwarzfahren. Im Umkehrschluss heißt das, dass du dir viel mehr raus nehmen kannst wenn du Kohle hast. Du kannst die Geldstrafe ja einfach bezahlen und dann bleibst du auf freiem Fuß (solange so etwas nicht allzu häufig vorkommt). Der Klassismus von Knästen hört allerdings hier nicht auf. Ein Großteil aller Haftstrafen sind auf Eigentumsdelikte oder Vermögensdelikte zurückzuführen. Hinzu kommen Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Straftaten die sich der Beschaffungskriminalität zuordnen lassen. All diese Beispiele zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Armut und Knästen gibt. Als wäre das nicht genug, sind Knäste auch noch rassistisch. BIPOCs (black, indigenous and people of color) sind in vielen Gefängnissen überrepräsentiert (vor allem in den USA, hier wird teilweise von moderner Sklaverei gesprochen), was zum einen auf den Zusammenhang zwischen Klassismus und Rassismus zu beziehen ist, zum anderen einfach daran liegt, dass wir in einer rassistischen Mehrheitsgesellschaft mit einer rassistischen Polizei und Justiz leben. BIPOCs sind häufiger Gegenstand von polizeilichen Kontrollen und werden insgesamt häufiger krimineller Handlungen verdächtigt. Hinzu kommt, dass ihnen vor Gericht weniger Glaubwürdigkeit entgegen gebracht wird, als beispielsweise zwei weißen Polizist*innen. (mehr Infos: Rassismus und Justiz – Migrationsrat Berlin e.V. S. 18) Gefängnisstrafen treffen also vor allem die lohnabhängige Klasse und von Armut betroffene Menschen, sowie häufiger BIPOCs. Der Klassismus und Rassismus von Gefängnissen beruht zum einen darauf, dass Armut die Ursache für Kriminalität darstellt, da betroffene sich oft dazu gezwungen sehen rechtswidrig zu handeln. Und zum anderen darauf, dass benachteiligte Personengruppen besonders häufig in das Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten.
03 Die Justiz ist das Problem
Wie in den bisherigen zwei Abschnitten vielleicht schon herauszulesen ist, geht es um mehr als lediglich die Knäste in Frage zu stellen. Unsere Gefängniskritik bezieht ebenso die Justiz an sich und die mit ihr verbundenen Institutionen mit ein. Straftaten sollten immer innerhalb ihres Kontexts, Sozialisation und äußerer Zusammenhänge gesehen werden. Häufig sind mehr Personen an einem „Verbrechen“ indirekt beteiligt als die angeklagte und die klagende Person. Sprich es sind oft mehr als zwei beteiligt, die irgendwie Teil des Konflikts sind. Wir betrachten die Justiz und Strafe als solches nicht als sinnvoll, da ihr Kern darin besteht immer eine Partei („den/die* Täter*in“) zu schädigen und dabei keinerlei Wiedergutmachung für die Geschädigte Person erzielt. Die Justiz schafft keine Wage zwischen den beteiligten Personen sondern schafft nur mehr Leid, indem sie zusätzlich zu der beschädigten Person noch eine weitere Person schädigt. So kommt es, das unsere Justiz völlig Täter-zentriert ist und das Befinden und die Wünsche der geschädigten Person kein bisschen beachtet werden. Es kommt zur völligen Vereinnahmung des Prozesses durch den Staat und seine Methoden, welche sich nicht entlang der Interessen der beteiligten Personen orientieren. Der gesamte Konflikt wird von den eigentlich beteiligten losgelöst und an eine künstliche hierarchische Instanz abgegeben. Deshalb üben wir Kritik daran, im klassischen Sinne zwischen schuldig und unschuldig zu verhandeln. Wir müssen die Konstrukte von Schuld und Strafe hinterfragen und aus unseren Köpfen verbannen, um ein besseres Zusammenleben ermöglichen zu können.
04 Und was ist mit den Vergewaltigern?
Zu allererst sollte sich die Besorgnis einhergehend mit dieser Frage nicht allein auf Vergewaltiger und andere Sexualstraftäter beschränken, sondern auch andere Formen von „schädlichem“ Verhalten wie häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch und Tiermissbrauch umfassen. Es ist eine Frage, mit der Verfechter eines radikalen abolitionistischen Standpunkts häufig konfrontiert werden (Abolitionismus meint: ursprünglich Bewegung zur Abschaffung der Sklavarei, heute Bewegungen die sich für die Abschaffung des Strafrechts an sich, oder zumindest bestimmten Formen des Strafrechts einsetzen.)Aus unserer Perspektive reicht es hier nicht einfach nur zu entgegnen, dass die meisten Verbrechen ja in einer anarchistischen Gesellschaft gar nicht stattfinden würden. Auch wenn das für viele Verbrechen vielleicht der Fall sein mag, weil sie einer Gesellschaft ohne Eigentum nicht weiter als solche gelten (z.B. Betrug, Diebstahl), so würden andere Verbrechen (z.B. Vergewaltigung und Gewalt durch Partner*innen) aufgrund der starken und unterstützenden sozialen Bindungen und der radikal anderen Werte, die der Anarchismus mit sich bringt, weniger werden, jedoch weiter existent sein. Es ist eine Illusion zu glauben, dass solch eine Welt frei von grenzüberschreitendem hierarchischen Verhalten sei, das anderen schadet. So wird auch in einer post-kapitalistischen Gesellschaft der Kampf gegen Herrschaft und unangebrachtes Verhalten ein kontinuierlicher Prozess sein und bleiben. Wir müssen bereits hier und jetzt eine anarchistische Kultur erschaffen und täglich gegen Herrschaft und Missbrauch kämpfen. Das bedeutet, dass wir Ideen und Praktiken entwickeln müssen, um auf inakzeptables Verhalten zu reagieren, das in unseren Gemeinschaften schon jetzt stattfindet. Uns ist es wichtig zu betonen, dass es für den winzig kleinen Bruchteil an Gewaltverbrecher*innen welche trotz ach so starken Bemühungen immer noch ein Problem für die Gesellschaft darstellen werden, (und das sind tatsächlich verschwindend wenige) womöglich andere unkonventionelle Lösungen braucht. Es sollten mit ihnen zusammen Lösungen entwickelt werden, welche ihre Bedürfnisse gesellschaftlich verträglich erfüllen oder substituieren und zusätzlich ihre Lebensumstände so verändern, dass sie die Chance haben ein anderes erfüllendes Leben wahrzunehmen, welches sie so schnell nicht mehr verlieren möchten.
05 Wenn nicht Knast, was dann?
Anknüpfend an die vorherige Frage stellt sich die Frage nach Alternativen zu Knästen. Wenn wir inakzeptables missbräuchliches Verhalten nicht vollständig vermeiden können, wie gehen wir dann damit um? Als Antwort auf diese Frage sind innerhalb der letzten Jahre alternative Konzepte der Konfliktbewältigung entstanden, welche sich unter den Begriffen „Restorative/Transformative Justice“ zusammenfassen lassen. Ihre Ursprünge haben viele dieser Konzepte in indigenen Kulturen. Maßgeblich zur Entwicklung beigetragen haben vor allem Black Communities in den USA, da BIPOCs unausweichlich andere Möglichkeiten zur Konfliktlösung entwickeln mussten, weil ihnen das reguläre Justizsystem keinen Schutz bietet. Es kann beispielsweise als BIPOC gefährlich sein bei Konflikten die Polizei zu rufen. Ziel dieser Konzepte ist es Konflikte unter allen beteiligten sinnvoll zu lösen und von der regulären Justiz und dem damit verbundenen Strafprozess abzusehen. Die Verfahren beruhen immer auf Freiwilligkeit und beachten im Gegensatz zur regulären Justiz die Wünsche und Erwartungen der geschädigten Personen, sowie die sozialen Umstände welche das Vergehen womöglich begünstigt haben. So lässt sich häufig eine Lösung erarbeiten die zufriedenstellender und erfüllender ist, und zwar für alle Beteiligten. Selbstverständlich wird es Fälle und Vergehen geben in welchen diese Konzepte nicht zur Anwendung kommen können. Sie stellen jedoch einen wichtigen Bestandteil dar, um einen Prozess des gesellschaftlichen Umdenkens los zustoßen.
06 Schlusswort
Wie bereits eingangs erwähnt, ist es nicht der Anspruch dieses Textes die komplexe Thematik um Knast und Justiz lückenlos zu erklären und mundgerecht portionierte perfekte Alternativen zu bieten. Womöglich hat dieser Text mehr Fragen bei dir ausgelöst, als dir vor dem lesen dieses Textes im Kopf schwebten. Betrachte das nicht als Problem, sondern als Chance dich weiter inhaltlich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Es ist an uns allen gelegen auf diesem Gebiet Veränderung zu erwirken und wie diese aussehen können wir nur gemeinsam erarbeiten. Falls dieser Text dein Interesse danach geweckt haben sollte, mehr zu diesem Thema wissen zu wollen dann nutze diese Möglichkeit. Diskutier in deinem Umfeld deine offenen Fragen, besorg dir Bücher, Zines oder andere Literatur. Schreib Briefe und sprich mit Gefangenen über ihre Erfahrungen. Es steht ein langer Prozess bevor, den wir nur gemeinsam gehen können. Nieder mit dem Stacheldraht. Gegen alle Knäste. Feu aux prison! No one is free until all are free!
Was wir empfehlen können:
Strafe und Gefängnis – Theorie, Kritik, Alternativen
Rehzi Malzahn
(zum Einstieg)
Strafe und Gefängnis
Michael Foucalt
(für die Philosoph*innen unter uns)
Wege durch den Knast
Redaktionskollektiv
(ein wertvoller Ratgeber, falls dir oder jemand anders ein Knast-Aufenthalt bevorsteht)
Armut und Gefängnis. Schwerpunktheft von WestEnd.
Neue Zeitschrift für Sozialforschung, 2.2017
(Details zum Zusammenhang zwischen Armut und Gefängnis)
What About The Rapists?
Dysophia 5
(leider auf Englisch aber auf jeden Fall lesenswert)